Minden gehört uns - nicht den Banken! Forderungen für Minden
Kommunale Finanzen und die Alternativen der DKP
Wirtschafts- und Sozialpolitik
Kanzler Schröder hat es in seiner Rede vor dem SPD-Parteitag versprochen: "Aber dieser Parteitag handelt nicht allein von der Agenda 2010 .Wir wollen mehr, wir gehen weiter." Die CDU versucht mit den Vorschlägen ihrer Herzog-Kommission, die jetzige Regierung mit den Sozialabbauplänen ihrer Rürup- und Hartz-Kommissionen zu überholen. Ein wahrer Wetteifer ist entbrannt.
Die derzeit am weitesten gehenden Pläne zum Sozialkahlschlag wurden von einer ganz besonderen Expertengruppe vorgestellt. Daran sind die Bertelsmann-Stiftung, die Heinz-Nixdorf Stiftung und die Ludwig-Erhard-Stiftung beteiligt. Ihre Vorschläge haben es in sich. Sie greifen alle Brutalitäten der Rürup- und Herzog-Kommissionen auf und überbieten sie noch:
- Abschaffung
der Arbeitslosenversicherung. Die Autoren meinen allen Ernstes, Beschäftigte
könnten ebenso gut drei Jahre lang sparen, dann hätten sie genug Absicherung
für die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit.
- Wegfall der staatlichen Arbeitsvermittlung und jeglicher aktiven
Arbeitsmarktpolitik; demnach soll es auch keinerlei Umschulungen und
dergleichen mehr geben
- Wegfall aller Lohnersatzleistungen - Als einzige Leistung bleibt
die Sozialhilfe. Die aber wird halbiert!.
- Für die zusammengelegte Kranken- und Pflegeversicherung wird es
einen auf das "medizinisch-ethisch Notwendige beschränkten Grundleistungskatalog"
geben. Alle Einwohner, auch Kinder, zahlen eine Kopfpauschale, die
vom Einkommen unabhängig ist. Die erste Pflegestufe soll abgeschafft
werden; für diesen Fall sollen die Menschen durch Sparen selber vorsorgen.
- Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sollen eingefroren
werden. Die Rentenhöhe bemisst sich nur an dem, was jemand eingezahlt
hat und wie hoch die Lebenserwartung seines Jahrganges ist. Die Anrechnung
von Erziehungszeiten oder Ausbildungszeiten würde dann ganz wegfallen.
Witwen würden danach an Rente nur bekommen, was sie selbst in ihrem
Leben eingezahlt haben. Wann jemand in Rente geht, soll er selbst
bestimmen können. Wer wenig Einkommen hat, muss länger arbeiten.
- Die Arbeitgeberbeiträge werden an die Beschäftigten ausgezahlt.
(Dabei fallen die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung ganz weg)
Die Sozialversicherungsbeiträge sollen mit diesem Konzept halbiert werden. Versüßt wird das Konzept mit einer einmaligen gesetzlichen Erhöhung der Bruttolöhne und mit der Erhöhung des Kindergeldes. Das soll den Beschäftigten und Erwerbslosen weismachen, sie hätten einen Gewinn von diesem Konzept.
Tatsächlich sind die Gewinner andere: Die Unternehmen sparen Lohnkosten. Denn der frühere Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungen wird nie mehr steigen und wird damit im Laufe der Zeit immer wertloser. Von Zahlungen an die Arbeitslosenversicherung werden sie mit deren Abschaffung völlig befreit.
Die Versicherungswirtschaft ist der zweite Gewinner. Neue Geschäfte mit der Arbeitslosigkeit und mit Krankheit und Pflege winken. Der "Grundleistungskatalog" wird brutalstmöglich gering ausfallen. Gesundheit wird damit nicht gesichert.
Die Aufwendungen für alle notwendigen zusätzlichen privaten Versicherungen sollen die Beschäftigten und Erwerbslosen alleine aufbringen und auch noch sparen für den Fall ihrer Arbeitslosigkeit. Woher sollen sie das Geld nehmen?
Kindergeld und Sozialhilfe soll es als Unterstützung noch geben. Beides ist steuerfinanziert. Das wird als besonders gerecht hingestellt. Tatsächlich zahlen aber heute Unternehmen und Reiche kaum oder gar keine Steuern mehr. Es sind die Beschäftigten und die Rentner, sogar die Sozialhilfebezieher, die mit Lohn- und Einkommensteuern und mit indirekten Steuern wie der Mehrwertsteuer den Staat finanzieren. Die Schieflage der gesellschaftlichen Verteilung des Reichtums soll mit diesem Konzept weiter vorangetrieben werden.
Jegliche Reste des Solidaritätsgedankens werden ausgemerzt. Die bisherigen Systeme unserer umlagefinanzierten Sozialversicherungen sind noch davon geprägt: Junge zahlen für Alte, Gesunde für Kranke, Beschäftige für Arbeitslose. Der alte Gedanke der Arbeiterbewegung, der Gedanke der Solidarität mit den Schwachen liegt dem zugrunde! Er führte überhaupt erst zu unseren heutigen Sozialversicherungssystem. Nie war es ein Geschenk der Unternehmer oder der Reichen. Die Solidarität - oder was heue noch an Resten davon vorhanden ist - soll durch ein reines Versicherungsmodell ersetzt erden.
Welches Ziel mit der Abschaffung der Arbeitslosenversicherung verfolgt wird, wird recht unverblümt gesagt: "Eine Aufhebung der Versicherungspflicht in ihrer jetzigen Form zeitigt sowohl durch die Senkung der Lohnnebenkosten als auch durch die Auswirkungen auf die kollektiven Lohnverhandlungen erhebliche Arbeitsmarkteffekte." Bisher markieren Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe eine untere Grenze der Löhne und Einkommen, bilden eine Art Mindestlohn. Diese Schranke nach unten soll wegfallen. Damit könnten endlich Hungerlöhne gezahlt werden. Denn Hunger wird einkehren, wenn die Sozialhilfe halbiert wird. Hungerlöhne machen Druck auf alle übrigen Löhne, haben "Auswirkungen auf die kollektiven Lohnverhandlungen" und werden eine allgemeine Lohnsenkung herbeiführen wie sie seit Jahren in den USA zu beobachten ist. Dort lassen sich die künftigen Folgen dieses Konzepts schon heute in der Realität studieren.
Wenn Arbeitgeberverbände derartige Konzepte vorlegen, weiß man sofort, welche Interessen dahinter stecken. Gefährlich sind die "Experten", die sich im neutralen Gewand verstecken. Die fälschlicherweise als neutral angesehene Bertelsmann-Stiftung reicht mit ihrem Einfluss weit in die Gesellschaft, auch bis weit in die Gewerkschaften hinein und ist meinungsbildend als ostwestfälische Denkfabrik. Sich modern gebend vertritt sie das altmodische Konzept der Vorfahrt für Kapitalinteressen.
Quelle: Leitlinien zum Umbau der Sozialsysteme - Orientierungspunkte einer grundlegenden Sozialstaatsreform, Bertelsmann-Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung und Ludwig Erhard-Stiftung, vorgelegt am 14.11.2003